Störung? Hab da mal drüber nachgedacht

ADHS – Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung – ich hab da mal was wörtlich genommen und kann mich nicht wirklich mit dieser Bezeichnung identifizieren.

Also, ein Aufmerksamkeitsdefizit heißt doch, dass der/die Betroffene nur schwer seine Aufmerksamkeit auf etwas richten oder halten kann. Das stimmt meiner Meinung nach nicht unbedingt. Eine ADHSler*in kann durchaus aufmerksam sein, wenn etwas von Interesse ist. Allerdings fällt es schwer, die Aufmerksamkeit zu lenken und zu halten, wenn das Interesse nachlässt oder etwas Interessanteres den Fokus auf sich zieht. Ich würde eher von verminderter Konzentrationsfähigkeit und Schwierigkeiten bei der Lenkung der Aufmerksamkeit sprechen. Doch auch da gibt es eine Ausnahme: Hat man einen Hyperfokus auf eine interessante Sache, gelingt es plötzlich doch, sich zu konzentrieren, weil die Freude am Thema den Ausstoß von Glückshormonen befördert. Dann kann der/die ADHSler*in zu wahrer Höchstleistung fähig sein.

Tatsache ist, dass es zum Beispiel im Frontalunterricht oftmals schwer ist, aufmerksam zuzuhören und das Gehörte zu speichern. Die Gedanken schweifen ab und am Ende der Unterrichtsstunde weiß der/die Schülerin nicht, was geredet und erklärt wurde. Vielleicht hat sie/er aber aufmerksam aus dem Fenster gesehen und kann begeistert schildern, wie die Vögel unten im Pausenhof das Futterhäuschen gestürmt und leergefressen haben. (Alternativ könnte man den Unterricht anregender und interessanter gestalten. Aber das ist ein Thema für die nächsten Beiträge.)

Störung, im Englischen disorder, heißt laut Duden in diesem Zusammenhang Gestörtsein und dadurch eine beeinträchtigte Funktionstüchtigkeit (gesundheitlich, nervös). ABER auch „das Stören; das Gestörtwerden z.B. die Störung von Ruhe und Ordnung. Aha, Menschen mit ADHS stören. Im Unterricht, zuhause, im sozialen Raum etc. werden sie überwiegend negativ wahrgenommen, nämlich als jemand der gestört ist, stört und Defizite hat.

Wenn dann noch der Zappelphilipp mit seiner Hyperaktivität daherkommt, ist das Klischee voll bedient. Oder die/der , verträumte Hypoaktive, der/die an den Fingernägeln kaut oder unauffällig mit dem Fuß wippt, Angst hat, aufzufallen und meistens als ruhig und schüchtern bezeichnet wird. Ich bin mal ganz böse und behaupte, dass sie die Lieblingsschüler/innen der Lehrpersonen sind, weil überwiegend gut sozialisiert und unauffällig. Damit sind sie „nicht da“ und können auch nicht stören. Da fällt schnell eine Person durchs Raster genau wie oben erwähnte Zappelphilippe, die „sich nicht benehmen können, schlecht sozialisiert sind und die sich einfach nicht zusammenreißen können. Sie STÖREN, aber ihre STÖRUNG wird oftmals nicht als STÖRUNG des Botenstoffhaushalts im Gehirn gesehen und so nimmt das Elend seinen Lauf.

Was ich hier schreibe entbehrt jeglicher Expertise und beruht auf Erfahrungen und Erzählungen von Betroffenen. Von ihnen höre ich immer wieder, dass wenn ihre STÖRUNG früh erkannt und behandelt worden wäre, sie heute selbstbewusster und damit angstfreier ihr Leben meistern könnten.

Ich kann dem nur zustimmen. Ich war ein sogenannter Mischtyp, ruhig und abwesend – ich zeichnete meistens im Unterricht -, aber auch renitent und aufbegehrend. Es gab Lehrpersonen, die mein Verhalten als arrogant und anmaßend bezeichneten, aber auch die eine oder andere, die mir nicht Charakterschwäche unterstellte. Im Endeffekt war auch ich zum Scheitern verurteilt.

Ich persönlich möchte nicht so gerne als gestörte Person gesehen werden, sondern als Persönlichkeit mit besonderer Variante im breiten Spektrum der Neurodivergenz. Wir denken anders als neurotypische Menschen, unser Gehirn folgt anderen Regeln. Das heißt aber nicht, dass wir gestört oder störend sind. Wir sind anders.



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